KULTUR IN TIEFURT  
Ein Dorf legt sich ins Zeug

KulturMacher

Herzogin Anna Amalia hat es um 1780 mit ihrer überwiegend adeligen Tafelrunde schon gewusst, was man braucht, um ein „Kultur-Event“ von Dauer zu schaffen. Man braucht begeisterungsfähige Initia­toren, Künstler und geeignete Spielorte und sollte darüber hinaus die Kosten nicht aus den Augen ver­lieren. Die Spielstätten hat sie uns hinterlassen: den Park und das Schloss-Umfeld für das weltliche Theater, die Kirche für Orgel-, Solisten- und Chorkonzerte. Bei aller, damals in ihren Kreisen üblichen Verklärung des Landlebens wird sie an dem heute hinzu gekommenen Spielort, der großen Scheune ihres Kammergutes (heute: Festscheune) eher kein Theater genossen haben. Es roch wohl etwas zu streng. Auch in der Mühle oder auf der Mühleninsel wurde nicht gespielt.

Das Titelbild führt die beiden Autoren der Fischerin wieder am Ort der Erstaufführung 1782 zusammen. Goethe scheint sich seit der Zeit, als ihn JHW Tischbein in Italien malte (Goethe in der römischen Campagna, © Städel Museum – U.Edelmann/ARTOTHEK) kaum verändert zu haben. Corona Schröter trägt, anders als im Bild von Anton Graff von 1787 (mit Genehmigung der Klassik Stiftung Weimar), einen blauen Hosenrock.

Es trifft sich natürlich gut, dass alle Spielorte heute im Eigentum von Organisationen stehen, die durch ihre Satzungen der Förderung von Kunst und Kultur verpflichtet sind: die evangelische Kirche, die Klassik-Stiftung Weimar und die Stiftung wohnen plus.

Die Veranstalter: „WIR“ e.V.  und Kirchgemeinde

Bereits im Mai 2000 haben die späteren Stifterfamilien der Stiftung wohnen plus… zusammen mit Freunden den gemeinnützigen Verein Wohnen im Ruhestand WIR e.V. gegründet. Sie hatten damals gerade das darnieder liegende Kammergut in eine betreute Seniorenwohnanlage umgebaut. Der Verein sollte ursprünglich den dort einziehenden Men­schen ein anregendes Wohnumfeld schaffen und ihnen eine gemeinsame Stimme in der Wohn­anlage geben. Mit der Zeit kamen zu dem internen Angebot, das auch Kaffeerunden und gemeinsame Ausflü­ge in das Umland umfasst, immer mehr Angebote an eine größere Öffentlichkeit hinzu. Dazu wurde die Satzung des Vereins erweitert. Er trägt heute als umfangreichstes Angebot das Tiefurter Sommer­theater (seit 2021 erweitert zum Tiefurter Kultursommer) und organisiert z.B. die von der Ortskirche mit ihm zusammen veranstalteten som­merlichen Montagsmusiken. Das Sommertheater-Angebot wird aus den Überschüssen der Stiftung wohnen plus… durch Ausfallbürgschaften und Spenden unterstützt. Ohne diese Hilfen wäre das Risiko für den Verein nicht tragbar.


Die evangelisch-lutherische Christophorus-Kirche befindet sich, umschlossen von einem mit Obstbäumen bestandenen Kirchhof, dem ehemaligen Dorffriedhof, am Rande des Kammergutes.  In diesem barocken Kleinod hat schon Herzogin Anna Amalia gebetet, Franz Liszt war dort häufig zum Orgelspiel und auch Richard Strauss wird garantiert vorbeigeschaut haben, wenn er während seiner Weimarer Kapellmeisterzeit im Tiefurter Park spazieren ging. (Bei einem solchen Spaziergang wurde die Idee zu seiner berühmtesten Oper, dem Rosenkavalier, geboren.) Die Liste ließe sich fortsetzen. Die heutige Gemeinde, klein, gemessen an der Zahl der regelmäßigen Gottesdienst-Besucher, kümmert sich mit Unterstützung durch den WIR-Verein um ein kulturelles Angebot über das Dorf hinaus (siehe: Montagsmusiken).

Die Künstler*innen

Die in den Tiefurter Konzerten auftretenden Künstler reisen meist aus Thüringen oder den benachbarten Bundesländern an, wobei die Musiker in ihren Nationalitäten die internationale Ausrichtung der Musikhochschulen widerspiegeln. Bereits das lebendige und traditionsreiche Musikleben Weimars (Musikhochschule, Staatskapelle und Kirchenmusik-Ensembles) bietet alle Möglichkeiten zur Gestaltung eines interessanten, breit gefassten Musik-Angebotes. Bei den Montagsmusiken werden auch die beiden Tiefurter Chöre, der Männergesangsverein MXV und der Frauenchor, hörbar, die beide seit mehr als 20 Jahren das Gemeindeleben bereichern. (Der MXV hat eine viel ältere Vorgeschichte.) Die beiden Chöre treten natürlich auch bei anderen dörflichen oder kirchlichen Anlässen auf, genau so wie der Posaunenchor (Amateure aus dem Dorf ergänzt um Berufsmusiker) ,  der 2018 bereits sein fünfzigjähriges Bestehen feierte. Zwischen Ostern und Weihnachten bläst der Chor jeden Freitag nach dem Abendläuten Choräle vom Altan der Kirche. Und neue, für jeden offene Initiativen erweitern das Tiefurter Musikleben: ein Kinder-Posaunenchor und das von einer examinierten, in Tiefurt wohnenden Flötistin ins Leben gerufene Prinz Constantin Ensemble.

Die Organisatorinnen

Zu Beginn der Veranstaltungsreihen (Montagsmusiken, Sommertheater, Kindertheater, Lesungen) übernahmen die Initiatoren jeweils die künstlerische Leitung. Als sich kein Nachfolger an die anspruchsvolle Aufgabe herantraute, ging sie an den Vorsitzenden des WIR-Vereins über (Montagsmusiken) oder einen Profi (Sommertheater). Seit 2021 gibt es ein Leitungsgremium, in dem die Vorsitzende des WIR (Karin Stumpf) die Veranstalter vertritt, Katharina Lenke die Künstlerische Leitung übernimmt und Katrin Wolff für Kartenverkauf und Organisation zuständig ist. An den Veranstaltungstagen unterstützen Handwerker der Stiftung wohnen plus in der Technik und eine große Zahl von Dorfbewohner*innen bei der Betreuung der Besucher. Katharina Lenke ist studierte Musikwissenschaftlerin und hauptberuflich in einer Künstleragentur mit Klassik-Schwerpunkt tätig, bringt also in idealer Weise die Voraussetzungen für die Gestaltung anspruchsvoll anziehender Programme mit. Für ihre Tätigkeit erhielt sie im September 2023 eine Thüringer Kulturnadel überreicht, womit der Freistaat Thüringen herausragendes ehrenamtliches Engagement im Kulturbereich auszeichnet.

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